
Exotische, bizarre Geschichten passieren nicht nur auf „dark desert highways“ – so weit muss man gar nicht fahren, es reicht schon in Knittelfeld, einer Stadt die nicht mal Gott gefällt, aufzuwachsen.
63. Kapitel
Am Wochenende fuhr man nach Hause. Mit der Österreichischen Bundesbahn. Der Stundentakt wurde erst nach meiner Zeit als passionierte ÖBB-Nutzerin erfunden. Meine einzige Option war es, am Samstag den „Remus“ (er fuhr bis Rom) um 13.30h zu erwischen. Der Zug davor ging um 11.30h, den konnte ich allerdings nicht nehmen, da ich mich bis 12h in der Schule berieseln lassen musste. So schleppte ich samstags mein ganzes Zeug (hauptsächlich Schmutzwäsche) mit in die Schule, wartete nach Unterrichtsende bis der Remus aus Wien endlich daher torkelte und langweilte mich die nächsten zwei Stunden plus bis das Ding endlich in Knittelfeld einfuhr.

Dort bleibt jeder Zug stehen, da es sich um einen sogenannten Bahnknotenpunkt handelt. Eines der gewaltigen Assets dieser Stadt. Angekündigt wurde Knittelfeld von einer männlichen Piepsstimme, die rief: „Kniiiiiittelfeeeeeld!“ Ich glaube es handelte sich um einen der zwei dort lebenden Eunuchen. Armes Ding!
Ich verbrachte die Samstag Nachmittage damit meine Freundinnen zu treffen und sie mit Anekdoten aus Wiener Neustadt zu erheitern. Im Gegenzug bekam ich ein Knittelfelder Update. Sonntags schlief ich immer bis zum Mittagessen, so entkam ich dem verhassten Frühstück. Linde befand ich müsse aufgepäppelt werden und flux mutierte ich zur Mastgans, über deren aufgespannten Schnabel die Speisen mit dem Kochlöffel in den Hals gestopft wurden – aus mir hätte man auf der Stelle „foie gras“ produzieren können. Vorteil: Ich ersparte mir die Nahrungsaufnahme bis zum nächsten Wochenende.

Am Sonntag um 17.40h bestieg ich den „Romulus“ – das war der Gegenzug aus Rom und gondelte zurück nach Wiener Neustadt. Viele Jahre später errechnete ich, dass ich auf der Strecke Wiener Neustadt – Knittelfeld insgesamt über 42.000 Kilometer zurückgelegt hatte. Also einmal um den Äquator. Danach fährst du keinen Kilometer mit der Eisenbahn mehr, oder wie der Chefredakteur, Motorjournalist und Ehemann zu sagen pflegt, der veralteten Technologie des 19. Jahrhunderts.

Nach einigen Monaten kannte man auch schon andere Kids die ständig diese Trips unternahmen und so fand man spätestens in Leoben jemanden, der fürs Entertainment sorgte. Die Jungs hatten auch immer Alkohol an Bord und rauchen konnte man sowieso in den nicht zu knapp bemessenen „Smoker Waggons“.

Kurz vor 20h trudelte der Zug in Wiener Neustadt ein und man quälte sich in der Dunkelheit an den Gleisen entlang ins Internat. Im Schlepptau die schwere Reisetasche, bis zum Rand mit Mutters Leckereien befüllt. Eigentlich gab es Geld für ein Taxi, das floss jedoch in wichtigere Investitionen. In der Aufbewahrungsstätte angekommen rief man die Eltern an um über die heile Rückkehr zu berichten. Die Fragen, warum es so lange gedauert hätte (auf Grund der Ersparnis des Taxigeldes) beantwortete man mit glatten Lügen wie: Es gab kein Taxi mehr, der Zug hatte Verspätung oder wir sind alle gemeinsam gegangen.
Das 64. Kapitel folgt am 13. Dezember 2020!
Elvira Tervira
Fotos: Pixabay + Privat
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